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23.11.1984: Ein Tornado der Kategorie F3 wütete in Zöllnitz bei Jena

Vor genau 25 Jahren zerstörte am frühen Morgen ein starker Tornado den Bahnhof "Neue Schenke" und deren Umgebung. Bis zur Recherche der Thüringer Storm Chaser Jens Neubauer und André Bock im Jahr 2004, war dieser Tornado in keinem Wetterarchiv verzeichnet gewesen. Um herauszufinden, ob es sich bei dem Sturmereignis wirklich um eine Windhose handelte und welche Stärke diese hatte, befragten Jens und ich damals viele Anwohner der Gemeinde Zöllnitz nach ihren Erlebnissen:

Augenzeugen, die sich an den Vorfall vom 23. November 1984 gegen 06:30 Uhr erinnern konnten, beschrieben das Ereignis bzw. die Schäden wie folgt:

Augenzeuge 1: Die "Windhose" kam aus Richtung Rutha und hat auf ihrem Weg in Richtung Zöllnitz mehrere Masten einer Überlandleitung sowie mehrere Obstbäume umgeknickt (einheitliche Fallrichtung). Sie zog etwa bis 100 m hinter die Neue Schenke und löste sich dann auf. Die Schäden traten in einer Schneise von ca. 200 m auf.

Dabei wurden leere Güterwaggons (siehe Foto "Volkswacht" Tageszeitung) umgeworfen und eine Holzbaracke völlig zerstört. Eine 24 m² große Betonplatte eines Bushäuschen wurde abgehoben und einige Meter weggeweht. Der Dachstuhl eines aus Mauerwerk bestehenden großen Getreidesilo wurde abgedeckt. Vom Bahnhofsgebäude wurden viele Ziegel heruntergeweht. Eine Halle,(heutiges Gelände Raab Karcher, siehe Fotos) die gegen äußere Einflüsse mit Asbestplatten zu den Seiten geschützt war, wurde komplett zerlöchert, viele Seitenplatten fehlten. Ein Bus landete durch den Sturm im Straßengraben.

Augenzeuge 2: Ich war in dem Zug, der gerade den Bahnhof Neue Schenke verlassen hat. Die hinteren Waggons bewegten sich sehr stark hin und her und wir hatten Glück, daß wir nicht umkippten. Wer weiß was passiert wäre, wenn sich der "Sturm" ein paar Minuten früher entwickelt hätte, als noch viele Leute auf dem Bahnsteig standen. Einige Güterwaggons am Bahnhof hat es zur Seite umgekippt.

Augenzeuge 3: Der "Wirbelsturm" zog bis etwa zur Autobahn (A4 Eisenach - Dresden, von Abfahrt Jena / Lobeda ca. 2 km weiter in Richtung Dresden).
Material wurde noch bis zur A4 getragen. Einige Dachschäden gab es an Häusern im nahegelegenen Ort Zöllnitz. Die geschätzte Breite der Schneise betrug ca. 200m

Augenzeuge 4: [Dieser Augenzeuge befand sich vermutlich in unmittelbarer Nähe des Tornados in einer Baracke, sonst hätte er diesen Tag wahrscheinlich nicht überlebt]

Mein Auto wurde völlig zerstört. Ich hatte es direkt auf dem Gelände geparkt. Es wurden alle Scheiben am Moskwitch (ehem.sowjetische Automarke) zerstört. Vermutlich ist dies durch herumfliegendes Material passiert. Anderen PKWs, die nur ein paar Meter weiter standen, sind nicht zu Schaden gekommen.. Die Zugrichtung des Sturmes war von Rutha kommend bis kurz hinter Neue Schenke. Die Polizei hat nach dem Ereignis Filme eingezogen bzw. vor Ort belichtet.
Am selben Abend berichtete die Aktuelle Kamera (TV Nachrichtensendung im DDR Fernsehen) über dieses Ereignis. Das Dach vom Heizhaus wurde weggeweht. Es hat den 20m hohen und 6m breiten Industrieschornstein in drei Teile zerlegt. Diese krachten von oben in das Heizhaus und zerstörten es fast vollständig. Eine Holzbaracke wurde dem Erdboden gleich gemacht und 2 Güterwaggons waren umgekippt. Man konnte stark verdrehte Bretter sehen, teilweise völlig zersplittert.

Es war ein extrem warmer und schwüler Novembermorgen und zu dieser Zeit noch dunkel. Als ich früh zur Arbeit ging, stand das Wasser noch in Pfützen auf dem Gelände. Dieses war danach völlig verschwunden, wahrscheinlich wurde es weggesaugt.
Ein Pkw wurde von dem kleinen herumfliegenden Material wie gesandstrahlt. Der Lack war nahezu komplett ab. In einer Gartenanlage, in der Nähe der Bahnanlage in Richtung Rutha / Jena, wurden viele Gartenlauben zerstört. Es grenzt an ein Wunder, daß nicht mehr Leute zu Schaden kamen. Bis auf ein paar Schnittverletzungen und einen Armbruch waren keine Verletzungen zu verzeichnen gewesen.
Auf der Straße in der Nähe des Bahnübergangs ist ein Lkw-Hänger mit großen, leeren Containern umgekippt und bei einem Bus wurden die Scheiben zerschlagen.

Augenzeuge 5 (Karsten Haustein): Betroffen war die gesamte Neue Schenke! Eine Schranke war einfach weggeknickt, ein Güterwaggon komplett umgekippt, einer halb! Dies deshalb, weil die Wagen noch zusammengekuppelt und so auf gewisse Art ineinander verkeilt waren. Die Wagen standen dort (war also kein fahrender Zug), denn es musste auf freie Fahrt Richtung Stadtroda am dortigen Signal vor der eingleisigen Strecke gewartet werden. Das Dach des Bahnhofsgebäudes, welches auch heute noch dort steht, wurde komplett abgedeckt und eine DDR-typische Holzbaracke, auf dem heutigen Baustoffgelände (Raab Karcher), wurde komplett oder teilweise zerstört. So wie eben die Holzhütten in USA nach 'nem Tornado auch aussehen!

Nach der Diskussion mit Tornadoexperten in den Wetterforen, war klar, daß es sich eindeutig um einen Tornado mit der Stärke F2 / F3 handelte (um die 250 km/h)

Nach der Augenzeugenbefragung versuchte ich mehrere Wochen lang vergebens, an private oder öffentliche Bilder der Schäden heranzukommen. Die Polizei Jena erklärte mir schließlich, daß damals in der DDR sämtliche privat gemachte Fotos beschlagnahmt bzw. die Filme belichtet wurden. Nach einer offiziellen Anfrage war die Polizei jedoch so freundlich und stellte uns 10 Bilder aus dem Polizeiarchiv zur Verfügung. Dafür an dieser Stelle nochmals Herzlichen Dank!


Zerstörtes Baustofflager 1


Zerstörtes Baustofflager 2


Verladestation


Bus, mehrere Meter von der Straße versetzt.


Abgedeckter Sozialtrakt


Garage, davor ein Moskwitsch



Der beschädigte Bahnhof "Neue Schenke"



Haus, ca.100m enfernt im Ort

 


Trümmerfeld



umgeworfene Eisenbahnwaggons

 


Nachfolgend einige Zeitungsartikel aus der damaligen Volkswacht:

Artikel aus der TLZ:

 

Am 23.11.04 schrieb ich abschließend für die OTZ zum 20-jährigen Jahrestag folgenden Artikel:

Inzwischen wird dieses Sturmereignis in allen Wetterarchiven als Tornado der Kategorie F2/F3 geführt.

Bei Fragen und Anmerkungen schreiben Sie mir bitte eine Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.

Andre Bock